Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung

Die Modernisierungsagenda 2025 des BMDS ist konzeptionell überzeugend, doch ihre Umsetzung droht an alten Strukturen zu scheitern. Föderale Fragmentierung, veraltete IT, fehlende Kompetenzen und schwache Steuerung behindern Fortschritt. Der Erfolg hängt davon ab, ob es gelingt, Zuständigkeiten, Rechtsrahmen und Governance so zu modernisieren, dass Reformen dauerhaft wirksam werden.

Anspruch und Realität der Verwaltungsmodernisierung

Mit der Veröffentlichung der Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung am 1. Oktober 2025 hat das Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS) einen zentralen Schritt zur Reform des öffentlichen Sektors unternommen. Ziel ist es, die Leistungsfähigkeit der Verwaltung nachhaltig zu erhöhen, Prozesse zu digitalisieren und die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu verbessern.

Die Agenda markiert zweifellos einen Meilenstein, denn sie bündelt erstmals ressortübergreifend Maßnahmen für eine umfassende Staatsmodernisierung. Dennoch zeigt der Blick auf die Erfahrungen mit früheren Digitalisierungsinitiativen wie dem Onlinezugangsgesetz (OZG) oder der Digitalstrategie Deutschland, dass gute Konzepte allein nicht genügen. Entscheidend ist, ob es gelingt, sie in der bestehenden Struktur tatsächlich umzusetzen.

Gerade hier liegt die größte Herausforderung: Die Modernisierungsagenda adressiert viele bekannte Probleme, stößt dabei aber auf Rahmenbedingungen, die ihre Wirkung erheblich beeinträchtigen können. Im Folgenden wird daher beleuchtet, welche strukturellen Stolpersteine die Umsetzung gefährden – und welche Faktoren erforderlich sind, um sie zu überwinden.

Kurzüberblick über die Agenda und ihre Handlungsfelder

Die Modernisierungsagenda umfasst über 80 Einzelmaßnahmen, die sich auf fünf zentrale Handlungsfelder verteilen:

  1. Digitale Verwaltungsleistungen – Aufbau nutzerzentrierter, vollständig digitaler Angebote für Bürgerinnen und Unternehmen.
  2. Register- und Dateninfrastruktur – Vernetzung von Datenbeständen und Einführung standardisierter Schnittstellen.
  3. IT-Architektur und Technologien – Entwicklung gemeinsamer Basiskomponenten und Nutzung moderner Technologien wie KI oder Cloud.
  4. Personal und Verwaltungskultur – Förderung digitaler Kompetenzen, agiler Arbeitsformen und moderner Führung.
  5. Steuerung, Recht und Governance – Schaffung klarer Zuständigkeiten, rechtlicher Grundlagen und Mechanismen zur Wirkungsmessung.

Die Agenda kombiniert technologische, organisatorische und rechtliche Reformen zu einem integrierten Gesamtbild. Doch genau diese Komplexität macht ihre Umsetzung anfällig für strukturelle Barrieren, insbesondere dort, wo bestehende Zuständigkeiten, Kapazitäten oder gesetzliche Rahmenbedingungen an ihre Grenzen stoßen.

Antizipierte Herausforderungen in der Umsetzung

Die Modernisierungsagenda ist richtig in der Zielrichtung, doch sie bewegt sich in einem System, das Reformen notorisch erschwert. Viele der vorgesehenen Maßnahmen können nur dann Wirkung entfalten, wenn tiefgreifende Voraussetzungen geschaffen werden.

Im Folgenden werden die sechs zentralen Stolpersteine beschrieben, die die Agenda in ihrer Umsetzung gefährden, jeweils mit typischen Hindernissen und den wichtigsten Erfolgsfaktoren.

1. Föderale Machtverteilung als strukturelle Bremse

Die föderale Ordnung erschwert einheitliche IT-Standards und zentrale Steuerung. Länder und Kommunen behalten weitgehende Entscheidungsfreiheit – auch bei digitalen Basiskomponenten. Dadurch entstehen Mehrfachentwicklungen, Inkompatibilitäten und lange Abstimmungsschleifen.

Hindernisse:

  • Fehlende Nutzungspflichten für bundesweite Lösungen und Basiskomponenten
  • Politische Eigeninteressen der Länder verhindern gemeinsame Standards
  • Der IT-Planungsrat besitzt keine Exekutivkompetenzen, Entscheidungen wirken nur empfehlend
  • Unterschiedliche Vergabeverfahren und Haushaltszyklen blockieren Synchronisierung
  • Fehlende finanzielle Anreize zur Kooperation

Erfolgsfaktoren:

  • Gesetzliche Verbindlichkeit zentraler IT-Standards und Schnittstellen
  • Einrichtung einer koordinierten Digitalsteuerung mit Durchgriffsrechten
  • Finanzierungsmodelle, die Kooperation belohnen (z. B. Matching-Funds)
  • Klare Kompetenzordnung zwischen Bund und Ländern
  • Integration der Länder in ein gemeinsames Portfoliomanagement zur Prioritätensetzung

2. Veraltete IT-Strukturen verhindern Anschlussfähigkeit

Ein großer Teil der Verwaltungs-IT basiert auf veralteten Fachverfahren, die kaum interoperabel sind und damit eine Ende-zu-Ende-Optimierung oder gar -Neugestaltung erschweren. Ohne technische Erneuerung bleiben Digitalinitiativen auf der Oberfläche: Sichtbar nach außen, aber ineffizient im Inneren.

Hindernisse:

  • Proprietäre Fachverfahren mit inkompatiblen Datenstrukturen
  • Fehlende API-Standards und Meta-Datenmodelle
  • Geringe Cloud-Readiness aufgrund rechtlicher Unsicherheit und alter Infrastruktur
  • Hohe technische Schulden und Wartungsaufwand
  • Fehlende Migrationsstrategien und Budgetbindung an Legacy-Systeme

Erfolgsfaktoren:

  • Aufbau einer bundesweiten Referenzarchitektur mit Interoperabilitätsrahmen
  • Etablierung verbindlicher, versionierter Datenschnittstellen
  • Einrichtung eines Modernisierungsfonds zur Ablösung von Legacy-Systemen
  • Nutzung offener Standards (Open Source, FIT-Connect-Komponenten)
  • Aufbau technischer Kompetenzzentren zur Begleitung von Systemmigrationen

3. Personalmangel und fehlende Kompetenzen als Transformationsbremse

Digitalisierung erfordert IT-Kompetenzen und Mut zur Veränderung – beides ist in der Verwaltung vergleichsweise knapp. Der Fachkräftemangel verschärft sich, während der Weiterbildungsbedarf steigt. Selbst dort, wo Projekte erfolgreich anlaufen, fehlt es häufig an Kapazität, um sie dauerhaft zu betreiben.

Hindernisse:

  • Massive Fachkräfteknappheit in IT-, Daten- und Transformationsrollen
  • Häufig Wettbewerbsnachteile gegenüber Privatwirtschaft bei Gehalt und Arbeitsbedingungen
  • Mangelnde Erfahrung von Führungskräften im Change-Management
  • Geringe Attraktivität moderner Arbeitskultur (Agilität, Remote Work)
  • Fehlende Ausbildungspfade für digitale Verwaltungskompetenz

Erfolgsfaktoren:

  • Aufbau einer „Bundesakademie“ für Digitalkompetenzen mit verpflichtenden Führungstrainings
  • Systematische Rollenprofile und Karrierepfade für digitale Fachkräfte
  • Einführung von Talent-Pooling zwischen Bund, Ländern und Kommunen
  • Temporäre Einbindung externer Expert:innen über flexible Vertragsmodelle
  • Förderung agiler Arbeitsmethoden und digitaler Führungskultur

4. Fehlende Governance und Steuerungsautorität

Die Agenda setzt auf Monitoring und Transparenz, doch ohne verbindliche Steuerung bleibt dies zahnlos. Das BMDS ist auf Kooperation angewiesen, verfügt aber über keine Instrumente, um Zielverfehlungen zu korrigieren. Steuerung bleibt damit freiwillig – und die Verantwortung verteilt.

Hindernisse:

  • Steuerung auf freiwilliger Basis ohne Sanktions- oder Eskalationsmechanismen
  • Fehlende zentrale Entscheidungsinstanz mit Mandat
  • Kein durchgängiges, vergleichbares Monitoring
  • Zersplitterte Projektportfolios ohne Priorisierung

Erfolgsfaktoren:

  • Einrichtung eines Digitalrats mit Entscheidungs- und Kontrollfunktion
  • Einführung von verbindlichen Zielvereinbarungen zwischen Bund, Ländern und Ressorts
  • Standardisiertes Monitoring mit öffentlichen Fortschrittsberichten
  • Governance-Struktur mit klarer Verantwortlichkeitskette (vom Ministerium bis zur Projektleitung)
  • Nutzung von OKR-Logiken (Objectives and Key Results) für ressortübergreifende Steuerung

5. Rechtliche Starrheit und fehlende Synchronisierung

Zahlreiche Maßnahmen der Agenda erfordern Anpassungen im Verwaltungs- und Datenschutzrecht. Doch die Gesetzgebungsprozesse sind komplex und langwierig. Dadurch entsteht ein strukturelles Umsetzungsdefizit, der Rechtsrahmen ist auf Stabilität und nicht auf digitale Dynamik ausgelegt.

Hindernisse:

  • Schriftformerfordernisse, Präsenzpflichten und starre Verfahrensgesetze
  • Langwierige Abstimmungsprozesse zwischen Ressorts und Ländern
  • Fehlende juristische Expertise bei technischen Entwicklungen
  • Datenschutzinterpretationen ohne einheitliche Linie
  • Fehlende gesetzliche Grundlage für maschinenlesbare Gesetze („Law as Code“)

Erfolgsfaktoren:

  • Einrichtung von Reallaboren mit tempor. Rechtsausnahmen für digitale Verfahren
  • Aufbau eines interdisziplinären Recht-&-Tech-Teams im BMDS
  • Einführung eines verpflichtenden Digitalchecks bei allen Gesetzesvorhaben
  • Schaffung einheitlicher Datenschutzstandards auf Bundesebene
  • Entwicklung eines Pilotprojekts für maschinenlesbare Normtexte

6. Politische Kurzfristigkeit und institutionelle Instabilität

Verwaltungsmodernisierung erfordert langfristige Kontinuität – doch Digitalstrategien enden häufig mit der nächsten Legislaturperiode. Ohne institutionelle Verstetigung werden Fortschritte regelmäßig zurückgesetzt.

Hindernisse:

  • Strategiewechsel nach Regierungsbildungen
  • Fehlende Verstetigung erfolgreicher Programme
  • Kurzfristige Finanzierungen ohne Planungs-sicherheit
  • Abhängigkeit von Einzelpersonen und politischen Agenden

Erfolgsfaktoren:

  • Einrichtung eines gesetzlich verankerten Mehrjahres-Modernisierungsfonds
  • Verstetigung zentraler Digitalinstitutionen (z. B. DigitalService, Digitalrat)
  • Parlamentarisch abgesicherte Fortschrittsberichte und Zielvereinbarungen
  • Aufbau dauerhafter Netzwerke zwischen Verwaltung, Wirtschaft und Forschung

Es wird deutlich, dass die Herausforderungen der Modernisierungsagenda vielschichtig sind. Sie greifen nicht an einer einzelnen Stelle des Verwaltungssystems, sondern wirken gleichzeitig auf politischer, rechtlicher, organisatorischer, technologischer und kultureller Ebene.

Ob die Modernisierungsagenda Wirkung entfalten kann, hängt davon ab, wie konsequent diese unterschiedlichen Herausforderungen angegangen werden. Die folgende Übersicht zeigt, auf welchen Ebenen zentrale Hemmnisse bestehen und mit welchen strategischen Ansätzen ihre Bewältigung gelingen kann.

Ebenen, Herausforderungen und Lösungsansätze der Modernisierungsagenda im Überblick

Die Übersicht macht deutlich, dass Reformfähigkeit nicht durch isolierte Maßnahmen entsteht. Entscheidend ist ein abgestimmtes Vorgehen über alle Ebenen hinweg. Erst wenn politische Steuerung, rechtliche Modernisierung, organisatorische Effizienz, technologische Infrastruktur und kultureller Wandel ineinandergreifen, kann die Modernisierungsagenda ihre volle Wirkung entfalten.

Digitale Transformation nur mit Strukturreformen

Die Modernisierungsagenda ist ein notwendiger und richtiger Schritt. Sie formuliert ein klares Zielbild und benennt zentrale Maßnahmen, um Deutschlands Verwaltung zukunftsfähig zu machen. Doch sie bewegt sich in einem System, das Reformen strukturell erschwert.

Ohne verbindliche Steuerung, klare Zuständigkeiten, kompetente Fachkräfte und einen flexibleren Rechtsrahmen wird die Agenda kaum Wirkung entfalten. Was fehlt, ist eine Reform der Reformumgebung – also die Modernisierung jener Mechanismen, die für Planung, Finanzierung und Umsetzung zuständig sind.

Die Agenda zeigt, dass Deutschland weiß, was getan werden muss. Die eigentliche Bewährungsprobe besteht nun darin, ob es gelingt, dieses Wissen in dauerhafte Handlungsfähigkeit zu übersetzen – jenseits föderaler Eigenlogiken und politischer Zyklen.

Quellenangaben

  1. Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS), Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung, Oktober 2025, Link (PDF-Version: Link)
  2. Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV), Digitalstrategie Deutschland 2022–2030, Juli 2022, Link
  3. Agora Digitale Transformation, Reform wider die Verhältnisse – Wie der Start des BMDS gelingen kann, Policy Paper, 16. Juni 2025, Link
  4. Fraunhofer FOKUS / ÖFIT, Der Deutsche Digitalrat: Eine „Inside-Out“-Fallstudie, Juni 2024, Link
  5. Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln), Behörden-Digimeter 2025, April 2025, Link

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